Buchtipp

Claudia Heuermann - Land oder Leben. Wie unser Traum von einer Farm in der amerikanischen Wildnis endete.

ConBook Medien GmbH 2020 www.conbook-verlag.de

 

von Ursel Schlicht

Land oder Leben! Das Bild auf dem Cover sieht genau so aus, wie ich die kleine Farm in den Catskills in Erinnerung habe. Land oder Leben - Brooklyn oder Upstate, Kinder oder Karriere, Optimismus oder Verzweiflung, denke ich. Claudia Heuermann und mich verbinden wichtige Jahre in New York.

 

Alles einsetzen an Kraft und Motivation, um das aktuelle Ziel zu verfolgen - diese Lebenseinstellung braucht es, ob als Filmemacherin in New York City oder Upstate beim Aufbau eines selbstversorgten Landlebens. Als Eingewanderte ohne ein bestehendes Netzwerk ist Durchhaltevermögen absolut essentiell. Wie so ein Weg step by step erfolgreich umgesetzt wird, und dann doch letztendlich nicht so funktioniert hat wie gedacht, erzählt Claudia Heuermann mit großer Spannung. Die Abenteuerlust und die Begeisterung für jeden neuen Schritt ist durch das ganze Buch spürbar. Ebenso die Herausforderungen! Davon gab es nun so viele, dass selbst ich als geprüfte New Yorkerin schon nach wenigen Kapiteln mich erstaunt fragte, was denn noch Schlimmeres denkbar sei.

 

Claudia und ich lernten uns im deutschen Konsulat in New York kennen, eingeladen von der kulturinteressierten Familie des deutschen Konsuls, im sehr eleganten Townhouse in der Upper East Side. Der Konsul wollte kreative Deutsche persönlich kennenlernen, vernetzen und unterstützen. Wir beide waren in der künstlerisch progressiven Downtown-Szene unterwegs, Claudia mit einem Filmprojekt und ich als improvisierende Musikerin.


Sofort gab es jede Menge Gesprächsstoff, und wir radelten in bester Stimmung spät am Abend zurück - von einer der vornehmsten Gegenden unweit des Central Park nach Hause. Durch Midtown viele Blocks nach Süden weiter ins East Village, unserem kreativen Zuhause, dann weiter in die Lower East Side, fast schon Chinatown. Lange Wege mit dem Fahrrad waren wir gewohnt. Wir trafen uns und diskutierten unsere Projekte, oder gingen in Konzerte. Claudia arbeitete an einem Dokumentarfilm über den herausragenden, unermüdlichen, von uns allen hoch geschätzten Musiker John Zorn.

 

Claudia und ich besprachen die Herausforderungen des selbstgewählten Lebens. Die Arbeitserlaubnis, die Visa, die Wohnsituationen. Meine Greencard war in Arbeit. Als “alien of extraordinary abilities” brauchte es eine gute anwaltliche Betreuung und viele Menschen, die Empfehlungsschreiben auf hohem Niveau ausstellen. Monatelang bestimmte dies meinen Alltag. Schließlich hatte ich sie und durfte endlich richtig offiziell arbeiten. Claudia steckte tief in ihrer Filmarbeit, ich zog nach Brooklyn, bekam Lehraufträge an Universitäten. Claudia ging für längere Zeit nach Deutschland, der Kontakt wurde spärlich und verschwand.

 


Eines Tages, wieder in New York, bemerkte Claudia eine Ankündigung zu einem Mother´s Day Concert in Brooklyn. Improvisierende, experimentelle Musikerinnen spielten, es gab in der großen Szene tatsächlich kaum Mütter, aber aber es gab sie, und wir konzertierten! Claudia sah meinen Namen und nahm Kontakt auf. Wir hatten fast zeitgleich Kinder bekommen, lebten beide in Brooklyn, waren 24/7 in den Alltag abgetaucht. Nun war der Draht wieder da!

Mit neuem Schwerpunkt: wie schaffen wir es, dass unsere Kinder hier in der riesigen amerikanischen Stadt aufwachsen? Frische Luft, Natur, gesunde Ernährung, kein Plastik, spannende Lernerfahrungen, wie ergattert man einen Platz in einem guten Kindergarten? Es gab 1000 Fragen. Der wunderschöne Brooklyner Prospect Park mit Spielplatz, See, botanischem Garten und kleinen Zoo wurde der neue Treffpunkt. Um uns zu treffen, musste jede allerdings erstmal dort hinkommen. Für Claudia und die Jungs ein sehr weiter Fußweg. Für uns erstmal mit einem alten Doppelkinderwagen zum Bus. Der fuhr selten und noch seltener nach Fahrplan. Kinder rein, raus, das unförmige Teil zusammenklappen, und man kam durchgerüttelt am Park an. Dann alle noch bis zum Zoo schieben, und ich war platt. Claudia war zu der Zeit mit Leidenschaft Mutter und schien unerschöpfliche Kräfte zu haben, stundenlang mit den Kids unterwegs zu sein, bei jedem Wetter, bis ins Naturkundemuseum, kein Problem.

 

Wie auch bei Land oder Leben, täuscht hier das Bild: ja, es ist alles toll und spannend - aber Claudia war eben auch aus Notwendigkeit ständig unterwegs. Die Wohnung zu klein, die Wege weit, die Stadt laut, der Alltag kräftezehrend.

Faszinierend vor diesem Hintergrund sind dann die unglaublichen Erfahrungen in den wunderschönen Catskill Mountains, dem paradiesischen Blick in die Natur vor der Haustür. Dem Anlegen des eigenen Zuhauses, in dem selbst bestimmt werden kann, mit Freude nachhaltig, gesund, naturnah zu leben. Jede Regung der Natur ist eine neue Erfahrung. Im ersten Jahr ist alles ein großes Abenteuer, und erste kleine Erfolge ebenso wie Rückschläge sind zu verkraften. Nutzpflanzen kommen im Bioanbau eben nicht gegen das Unkraut an, und die Schädlinge stürzen sich auf die Ernte. Dafür wächst doch Vieles ganz prächtig, es werden Hochbeete angelegt und die ersten Hühner ziehen ein. In dieser Zeit war ich mit meinen Kinder dort zu Besuch, und habe die paradiesische Szenerie noch genau vor Augen. Es gab einen kleinen Teich links vom Haus, an dem unsere Söhne stundenlang glücklich und fasziniert die Frösche beobachteten. Eine Schaukel verstärkte den Blick über die weite Landschaft. Am nächsten Morgen durften wir mitfahren zum Ashokan Reservoir: ein fantastisch großer klarer wunderschöner See, aus dem das Trinkwasser kam.

 

In der Gegend um Woodstock wohnen viele Künstler, Maler, Schriftsteller, auch Musiker, darunter viele Jazz-Idole wie Dave Holland oder Carla Bley. Das legendäre Creative Music Studio, dass Karl Berger und Ingrid Sertso findet in aktueller Form ganz in der Nähe von Claudias Zuhause statt. Perfekte Kombination, denke ich. Sollten wir nicht auch hierher ziehen? Als Idylle am Wochenende ist die Szenerie schon großartig.

 

Dann wird es im Buch nach wenigen Kapitel schon immer ernster. Der oben kreisende Raubvogel, der es meistens nicht schafft, die Beute zu erwischen, weil die Hühner unten stark und schnell sind, wird zur Metapher für die immerwährenden, allgegenwärtigen, nicht zu unterschätzenden Gefahren.

 

Zunächst möchte man das nicht glauben. Aus eigener Erfahrung kenne ich die wunderschöne Natur im Hudson Valley im Norden von New York City, bin gern barfuß durch die Wiesen gelaufen, und fand das ganze Zeug mit den minutiösen Verhaltensregeln und Warnungen, etwa vor Poison Ivy, komplett übertrieben. Das verdirbt einem ja den Spaß, wenn man es ernst nimmt. So etwas wie Brennesseln, oder? Es juckt mal und geht dann sicher schon wieder weg.

 

Das ändert sich bei der Lektüre dieses Buches. Sorgfältig recherchierte Informationen lassen auch Stadtmenschen nicht im Unklaren, was die Realitäten in der Idylle auch mit sich bringen. Bei Urushiol, dem Öl der Poison Ivy Pflanze, reicht ein Nanogramm, um eine extrem schmerzhafte Hautreaktion auszulösen, lerne ich. Der Sohn musste umgehend in ärztliche Behandlung und die Heilung dauerte Wochen (!) Eine winzige Begegnung kann fatale Folgen haben. Als Leserin im Jahr 2020 wird der Bezug auf die aktuelle Situation auf einmal überdeutlich. Die Gefahr lauert, ist nicht sichtbar, aber deutlich zu spüren, und erfordert achtsames Verhalten.

 

Dazu kommt die harte tägliche Arbeit auf der Farm. Immer wieder das Gleiche. Die Tiere versorgen, den Garten versorgen, ständiges Säubern in peniblen Abläufen. Wo war da die große Freiheit auf dem Lande?

 

Wie einfach erscheinen meine beruflichen Tätigkeiten als freie kulturschaffende Musikerin mit zwei Kindern. Ein lockeres Leben, verglichen mit dem Melken der Ziegen im eiskalten Winter, egal ob die Arme schmerzen oder nicht. Oder?

 

Durch das Buch scheint gleichermaßen ein großer Optimismus und tiefe Freude. Wie ein Sonnenstrahl durch die dunkle Wolke auf einmal die Dunkelheit vergessen lässt, gibt es immer wieder glückliche Momente, die eben auch die harte Arbeit vergessen lassen. Die kleine Ziege wird geboren, der erste Ahornsirup geerntet, es sind kleine Wunder.

 

Einem inneren Impuls zu folgen und in eine ganz neue Welt einzutauchen - das hat Claudia erfolgreich nun ein weiteres Mal auch mit dem Schreiben dieses Buchs getan.